Willi Fockenberg

"Wenn ich morgens zur Arbeit fahre und schon von Weitem den Förderturm sehe – dann habe ich ein Gefühl von Heimat!"

Willi Fockenberg ist aufgewachsen in Bottrop Grafenwald. Willi hat zunächst als Bergmann und später als Ausbilder in den Zechen Lohberg und Sterkrade gearbeitet, bevor er zum Bergbaumuseum in Bochum gekommen ist. Dort arbeitet er heute als Leiter des Fachbereichs Bergbautechnik und Logistik.

Herr Fockenberg,  wir beschäftigen uns im Rahmen unseres Projekts mit dem „Heimatort Bochum“ und damit, was diesen Ort so besonders macht. Der Bergbau ist nicht nur ein bedeutsamer Teil der Geschichte, sondern auch heutzutage noch für viele wichtig. Sie arbeiten aktuell im Bergbaumuseum in Bochum, waren früher aber auch selbst in den Zechen Sterkrade und Lohberg tätig. Wie sind Sie damals zum Bergbau gekommen?

Fockenberg: Ich habe natürlich das Ende des Bergbaus kommen sehen und da ich vom Alter her nicht unter die sogenannte Anpassungsregelung fiel, also mich nicht frühverrenten lassen konnte, habe ich mir Gedanken gemacht, was ich dann mache, und habe dann angefangen, 1994 auf der Abendschule meinen Techniker zu machen. In der Klasse hatte ich einen Kollegen, der hier im Deutschen Bergbaumuseum arbeitete. So kam erstmalig der Kontakt zustande. Ich wusste natürlich schon vorher, dass es hier ein Bergbaumuseum gab, als Schüler bin ich hier auch schon zu Besuch gewesen. Und da habe ich mir gedacht, Mensch, das musst du mal im Auge behalten, vielleicht ergibt sich ja mal eine Möglichkeit, da anzufangen. Und die hat sich dann 2002 auch ergeben und ich wurde hier eingestellt als sogenannter Grubenhandwerker für den untertägigen Bereich in unserem Anschauungsbergwerk.

Und wie haben sie damals die Entscheidung getroffen, Bergmann zu werden?

Ich hatte überlegt: Mensch, wo hat man einen relativ sicheren Arbeitsplatz? Das war auch meinem Vater sehr wichtig. Und ich wollte nicht auf dem Bau arbeiten und habe mich dann im Bergbau beworben. Ich hatte dann auch das Glück, direkt genommen zu werden. Das war 1982 und ich konnte dann am 1.9. des Jahres auf der Zeche Sterkrade als Bergmechaniker anfangen. Da hatte ich mir auch schon überlegt, dass man ja hinterher noch den Steiger machen, also weiter zur Schule gehen und sich hinterher dann auf dem Bergwerk hocharbeiten könnte. Das ist mir dann insofern gelungen, als dass ich von unter Tage gewechselt habe nach über Tage als Ausbilder. Ich habe meine Erfahrungen, die ich unter Tage über mehrere Jahre gemacht hatte, an die jungen Leute weitergegeben, und das hat mir sehr großen Spaß gemacht. Das habe ich 18 Jahre lang gemacht. Als dann mehr und mehr Schachtanlagen geschlossen wurden, habe ich mir überlegt: Mensch, du musst nochmal was anderes anfangen. Ich habe dann wie gesagt die Technikerschule besucht und 2002 bin ich dann von der Schachtanlage Lohberg nach Bochum gewechselt. Seitdem bin ich hier beschäftigt und mittlerweile Fachbereichsleiter für die Bergbautechnik und hauptsächlich für das Anschauungsbergwerk zuständig.

Heutzutage – wo der Bergbau im Ruhrgebiet eingestellt worden ist – gibt es viele verschiedene Vorstellungen davon, wie Bergleute waren. Welche dieser Klischees treffen zu und welche eher nicht?

Man war ja immer schon sehr multikulturell unter Tage. Wir hatten sehr viele Gastarbeiter aus ganz unterschiedlichen Ländern. Die Belegschaft änderte sich ständig. Während meiner Zeit kamen die sogenannten Russlanddeutschen, die dann auch im Bergbau anfingen. Die Mitarbeiter auf den Schachtanlagen waren ganz unterschiedlich. Und man musste dann eben miteinander auskommen. Das klappt häufig, wenn man im Team zusammenarbeiten muss. Man konnte oft Dinge nicht alleine schaffen. Also musste man im Team funktionieren, und damit hat man irgendwo auch ein Stück weit Zusammenhalt bekommen. Da war es egal, welche Nationalität der Kollege hatte, sondern man wollte die Arbeit schaffen. Und dadurch wuchs dann auch so ein Gemeinschaftsgefühl. Das hat sich, denke ich,  im Bergbau immer irgendwie durchgesetzt über die Jahrzehnte. Die Integration von Gastarbeitern, die ist dort eigentlich, meiner Meinung nach, ganz gut gelungen. Natürlich gab es auch Probleme. Es lief nicht nur alles rund. Jeder war ja auch unterschiedlich aufgewachsen, aber grundsätzlich, muss ich sagen, hat das wirklich sehr gut geklappt.

Der Bergbau ist ja mit Sicherheit nicht immer so angenehm gewesen, sondern eben auch anstrengend, kräftezehrend und vielleicht zeitweise auch gefährlich. Waren Sie immer gerne Bergmann oder gab es auch Zeiten, zu denen Sie sich vielleicht einen anderen Beruf gewünscht hätten?

Wenn man damals mit 18 Jahren als richtiger Bergmann unter Tage angefangen hat, hatte man natürlich auch andere Hobbys. Ich habe gerne Fußball gespielt. Und da habe ich dann erstmals die Nachteile vom Schichtdienst festgestellt. Man verlor doch ein bisschen die sozialen Kontakte, weil man  dann dreischichtig eingesetzt wurde: Früh-, Mittag- und Nachtschicht. Und dann traf man teilweise auch über einen längeren Zeitraum bestimmte Kollegen nicht. Das habe ich für mich sehr schnell gespürt. Das war nicht so mein Ding. Die Arbeit als solches hat mir unter Tage eigentlich immer sehr großen Spaß gemacht, wobei natürlich die Gefahr eines Unfalls immer gegenwärtig war. Man musste aus seiner Erfahrung heraus arbeiten und Obacht geben, dass man nicht einen Unfall erlitt.

Haben Sie mal einen Unfall miterlebt?

Ich habe einen Unfall miterlebt, auch einen tödlichen, von einem Kollegen, 21 Jahre. Ich war nicht unmittelbar dabei, aber ich war auf der Schicht. Der ist leider von einem Kohlebrocken erschlagen worden. Und das war schon ein nachhaltiges Erlebnis für mich und eine Erinnerung daran, dass die Gefahr immer besteht. Aber wir haben auch in den Jahrzehnten danach – gerade im Bergbau – unwahrscheinlich viel für die Sicherheit getan. Früher gab es ja sehr viele schwere und auch tödliche Unfälle. Das hat es in den letzten Jahren immer weniger gegeben. Man hat unwahrscheinlich darauf geachtet, dass Sicherheitsstandards verbessert werden unter Tage. Dabei waren wir im Ruhrgebiet auch weltweit im Bergbau führend. Auch die Gewerkschaftsseite hat dafür gesorgt, dass bestimmte sicherheitliche Aspekte unter Tage berücksichtigt wurden. Das gab es nicht überall auf der Welt. Aber in Deutschland war der Sicherheitsstandard schon sehr hoch.

Und was ich noch anfügen möchte: ich habe die Arbeit selbst an meinem Körper gemerkt. Ich bin relativ  schmächtig nach unter Tage gewechselt mit 58 Kilogramm und hatte ein Dreivierteljahr danach 67 Kilogramm. Aber ich hatte keinen Bauch bekommen, sondern das war wirklich Muskelzuwachs durch die schwere Arbeit. Und ich hatte unwahrscheinlich viel Kraft zu dem Zeitpunkt, als ich da unter Tage gearbeitet habe. Die Arbeit unter Tage war schon körperlich sehr belastend. Dementsprechend hat man dann auch anders gegessen, auch mehr gegessen. 

Wenn wir uns dann die Situation heute anschauen, hat sich mit dem Strukturwandel in Bochum und auch im gesamten Ruhrgebiet vieles verändert. Wie haben Sie als Bergmann diese Veränderungen wahrgenommen? Was war vielleicht früher besser oder auch schlechter?

Wenn man als Kind des Ruhrgebiets aufgewachsen ist, ist man ja indirekt auch immer mit dem Bergbau in Berührung gewesen. Ich bin groß geworden in Bottrop Grafenwald. Da gab es die Schachtanlage Prosper-Haniel, die ja auch bis zum Schluss 2018 die letzte Anlage im Ruhrgebiet war, die offen geblieben ist. Da habe ich immer noch vor Augen, wie in meiner Kindheit in den Wintermonaten, wenn Schnee gefallen ist, der Schnee immer schnell ein bisschen dreckig wurde. Das kam von all den Häusern, die teilweise noch mit Koks befeuert wurden, und ein paar Tage nach dem Schneefall war die Oberfläche vom Schnee immer so ein bisschen gräulich, fast schwarz. Das hat sich mittlerweile ja völlig geändert. Was wir für schöne Bereiche auch im Ruhrgebiet haben, wie grün das hier ist, selbst auf den Industriebrachen. Wie schnell sich die Natur auch diese Gegend zurückholt. Und ich finde, diese Gegend hier im Ruhrgebiet hat unfassbar viele spannende Facetten. Ich fahre auch gerne mit dem Fahrrad. Ich bin schon mit dem Fahrrad die 35 Kilometer von zu Hause  zur Arbeit nach Bochum gefahren, das sind wirklich teilweise sehr schöne Strecken, wie zum Beispiel die Erzbahntrasse. Solche Entwicklungen finde ich sehr schön hier im Ruhrgebiet. Wenn man Leute im Urlaub kennengelernt hat, die sagen, das Ruhrgebiet sei dreckig und schäbig, und die dann zu Besuch kommen, dann sagen die auf einmal: `Mensch, das ist doch wunderschön hier´, und sind  ganz verdutzt, was wir für schöne Ecken hier im Ruhrgebiet haben. Es hat sich schon gewandelt in der letzten Zeit, aber natürlich auch dadurch, dass immer mehr Industrie – und dadurch natürlich auch Arbeitsplätze – weggefallen ist.

Mit der Zechenschließung war ja dann für viele auch der Verlust des Arbeitsplatzes verbunden. Hatten Sie damals Angst vor den Zechenschließungen?

Ich bin grundsätzlich ein sehr positiv gestimmter Mensch. Ich habe mir immer gesagt: Mensch, das geht schon irgendwie weiter. Aber ich habe mich eben auch immer sehr früh darum gekümmert, dass es weitergeht. Ich bin dreimal die Woche 80 Kilometer weit zur Abendschule gefahren, um den Techniker zu machen. Das macht nicht jeder. Letztendlich hat es mich aber weitergebracht in meinem Berufsleben. Man muss sich selbst natürlich ein bisschen anschubsen und man muss etwas tun. Ich habe immer gedacht: Mensch, du hast eine gute Ausbildung genossen im Bergbau, du wirst schon was finden. Natürlich habe ich das große Glück gehabt, dass ich dann hier im deutschen Bergbaumuseum anfangen konnte, wo ich einen sehr sicheren Job habe,  der nochmal viele andere Facetten hat. Ich bin viel mit den Archäologen auf Ausgrabungen gefahren und habe dann mein technisches Knowhow in Sicherheitsangelegenheiten, das ich unter Tage gewonnen hatte,  einbringen können. Auch den Studenten und studentischen Hilfskräften, die mitgefahren sind, konnte ich, glaube ich, ganz viel beibringen und erklären über den Bergbau. Das habe ich sehr gerne gemacht. Ich habe immer gerne mit jungen Leuten gearbeitet. Das hat mich, glaube ich, auch selbst jung bleiben lassen. Wenn ins Museum Besucher mit kleinen Kindern kommen, habe ich auch immer ganz großen Spaß,  denen mal auf eine andere Art und Weise den Bergbau nahezubringen. 

Die Zechenschließungen in Bochum liegen ja heute schon eine Weile zurück. Die letzte Bochumer Zeche hat schon 1973 geschlossen. Und trotzdem verbinden auch heutzutage noch viele Leute Bochum mit dem Bergbau. Dazu trägt sicherlich auch das Bergbaumuseum seinen Teil bei. Wie sieht Ihre Arbeit im Bergbaumuseum genau aus?

Wir müssen für die Sicherheit im Anschauungsbergwerk sorgen. Das heißt, wir haben montags, wenn das Museum geschlossen ist, die Möglichkeit, nach dem Wochenende das Anschauungsbergwerk wieder herzurichten. Da wird dann auch wirklich geputzt. Die Objekte werden gereinigt, und und und. Am Dienstag fängt dann wieder der Museumsbetrieb an. Wir machen täglich Sicherheitsrundgänge, damit die Besucher auch wieder ordentlich nach über Tage kommen – so sagte man auch früher, wenn man angefahren ist im Bergwerk – und das sollen ja auch die Besucher hier. Die wollen ja hier einen schönen Tag verbringen, den Bergbau nochmal ein bisschen erleben. Und dafür sind wir hauptsächlich mit meinem Fachbereich Bergbautechnik zuständig. Aber wir übernehmen auch Führungen. Das heißt, wir unterstützen in vielfältiger Art und Weise den Museumsbetrieb, indem wir  unsere fachlichen Kenntnisse in Führungen an die Besucher weitergeben. Wir verändern auch im Anschauungsbergwerk noch Dinge, zum Beispiel wenn wir Maschinen aus einem anderen Bergwerk bekommen. Die kommen jetzt nicht mehr unbedingt hier aus dem Steingrubenbergbau in Deutschland, aber es gibt ja auch noch andere Gruben. Da kann es durchaus sein, dass da mal eine Maschine auch hier ins Anschauungsbergwerk passt. Die wird dann von uns instand gesetzt und hinterher dann unter Tage platziert. Und wir müssen natürlich auch alle Exponate hier im Anschauungsbergwerk pflegen und warten, damit die von den Führern vorgeführt werden können und die Besucher dann auch wirklich einen authentischen Eindruck bekommen. Also, das wollen wir hier rüberbringen: Wie hat der Bergmann gearbeitet? Bei solch einer Lautstärke, bei so einem Krach? Dann der Staub noch dabei? Mittlerweile können die Besucher auch eine Seilfahrt nachempfinden, dafür haben wir einen sogenannten Seilfahrt-Simulator. Und das finden die Leute super interessant. Da könnte man nämlich meinen, man wäre jetzt wirklich 1000 Meter tief ins Bergwerk eingefahren. 

Also, es ist ein ganz vielfältiger Job, den die Kollegen und ich hier haben. Und wie ich vorhin schon erwähnt habe, begleiten wir natürlich auch die Archäologen auf Ausgrabungen und bringen dann unsere Fachkenntnisse – arbeitssicherheitstechnische Dinge, Ausbauarten aus Holz – auch dort ein.

Das klingt alles sehr interessant, vielleicht hat ja auch der eine oder andere Lust, mal hier im Bergbaumuseum vorbeizuschauen und so eine Führung mitzumachen. Vielleicht können Sie uns zum Abschluss noch verraten, wie Sie für sich persönlich denn den Begriff Heimat definieren würden und wie da möglicherweise auch der Bergbau mit hineinspielt?

Heimat verbinde ich persönlich immer mit dem Ort, wo man  groß geworden ist, und ich bin auch sehr stark verwurzelt in meiner Heimat. Das ist für mich nicht direkt hier in Bochum, sondern in Bottrop-Grafenwald. Da bin ich groß geworden, da habe ich meinen Freundeskreis, da war ich im Fußballverein, da war ich in der Schule. Und man hat auch ganz viele Kollegen über Jahrzehnte im beruflichen Leben mitbegleitet, weil viele im Bergbau angefangen haben. Darum ist man hier im Ruhrgebiet verwurzelt, und ich mag eigentlich auch die Leute, die hier rumrennen. Die sind offen und auch manchmal so geradeaus – das mag ich an ihnen. 

Und ich finde es auch einfach schön hier. Man kann hier vieles machen, wir haben so viele kulturelle Einrichtungen, man kann in Kinos gehen, man hat Möglichkeiten einzukaufen in größeren Städten. Man kann sich aber auch wieder in ländlichere Gegenden zurückziehen, die dann durchaus ihren Reiz haben. Also das ist für mich eigentlich der Inbegriff von Heimat. Und wenn ich das auch nochmal so ansprechen kann – ich bin ja auch immer relativ sozial eingestellt gewesen. Eine Wirkung vom Bergbau war, dass viele Vereine aus dem Bergbau heraus entstanden sind. Ich habe bei uns im Fußballverein 12 Jahre lang die Jugend trainiert, hab also versucht, Kindern das Fußballspielen beizubringen, oder zumindest die Freude am Fußballspielen, was ja noch viel wichtiger ist. Nicht jeder wird ja Profi. Aber die sollen sich bewegen, nicht nur immer vor dem Computer zu Hause herumsitzen. Und diese Arbeit mit Kindern hat mir immer großen Spaß gemacht. Natürlich auch dadurch weil ich einen Sohn hatte, der auch gerne Fußball gespielt hat. Aber auch meine Tochter spielt Fußball und mittlerweile auch schon in der Landesliga, die sind beide eifrig dabei. Das ist auch so ein Stück Heimat. Die Familie, die Gegend, wo man groß geworden ist. Auch die Kinder haben dann wieder ihren Freundeskreis dort, und das ist auch einfach schön. 

Vielleicht noch ein Wort zu den Industrien: Wir haben einen Wandel hier im Ruhrgebiet, gar keine Frage. Aber ich finde es auch schön, dass wir Teile erhalten für die Nachwelt. Wir können natürlich nicht jeden Förderturm als Denkmal irgendwo rumstehen lassen. Aber bestimmte Objekte zu erhalten, das finde ich gut. Und gerade wenn ich morgens zur Arbeit fahre und schon von Weitem den Förderturm des Bergbaumuseums sehe – dann ist das für mich auch ein Gefühl von Heimat. Ich komme jeden Morgen gerne zur Arbeit. Gerade der Förderturm, der ja auch hier über Bochum strahlt, macht da mit Sicherheit eine Menge aus.



Vielen Dank für das Interview, Herr Fockenberg!

Interview: Lena Bexte
Transkription: Lena Bexte
Foto: Deutsches Bergbau-Museum Bochum