Friederike Becht

"Wir sind relevant für die Auseinander-setzung des Menschen mit sich selbst"

Friederike Becht wurde 1986 in Winden in Rheinland-Pfalz geboren. Schon früh begeisterte sie sich für das Theater. Von 2004 bis 2008 hat sie ein Schauspiel-Studium an der Universität der Künste Berlin absolviert, bevor sie an verschiedenen Theatern in ganz Deutschland arbeitete – zuletzt am Schauspielhaus in Bochum. Heutzutage ist sie auch aus verschiedenen Fernsehproduktionen wie unter anderem “Parfum”, “Westwind”, “Hannah Arendt”, “Ökozid” oder “Plötzlich so still” bekannt.

Wir beschäftigen uns, angeregt durch das Projekt des Westfälischen Literaturbüros, mit dem Thema Heimatort Bochum: Wenn du spontan an Bochum denkst, was kommt dir dann so in den Sinn? 


Die Ruhr, Fahrrad fahren an der Kemnade, vielleicht auch, weil wir das jetzt erst gemacht haben vor ein paar Tagen und weil das so wunderschön war. Eigentlich an eigene Erinnerungen. Heimat ist glaube ich nicht unbedingt der Ort an sich, sondern es ist, wie man an einem Ort empfunden hat. Also, dass ich, wenn ich jetzt an der Ruhr spazieren gehe, auch weiß, wo wir genau beim letzten Mal Ostern gefeiert haben, wo wir damals unterwegs waren und was da so passiert ist:  dass mein Sohn zum ersten Mal Fahrrad gefahren ist und solche Sachen, die verbinde ich dann mit den Straßen oder mit den Ecken. Bei uns in der Kohlenstraße haben wir so einen unglaublich tollen Kiosk, der, finde ich, auch in dieses Gesamtbild der Straße so gut reinpasst, man kennt die Leute und so. Jeden Tag, den ich länger hier bin, verbinde ich mehr Erinnerungen mit diesem Ort, er wird wertvoller für mich. Ich würde vielleicht sagen, je mehr vom Leben man an einem Ort verbringt, desto mehr verbindet man dann damit.

Du bist in deinem Leben viel umgezogen, bist in Winden in Rheinland-Pfalz groß geworden und hast dann aber in Berlin studiert und schon in Freiburg, Zürich, Hamburg, Essen und jetzt zuletzt in Bochum gewohnt. Fühlst du da überhaupt so etwas wie Verbundenheit zu einem bestimmten Ort oder was für eine Beziehung hast du da zu diesen vielen verschiedenen Orten in deinem Leben?

Jetzt bin ich ja schon relativ lange im Ruhrgebiet. Ich glaube, ich bin 2009 hierhergekommen und das ist schon die längste Zeit, die ich an einem Ort verbracht habe. Mit 17 bin ich von der Pfalz weg. Winden war natürlich mein Heimatort. Da komme ich her, das ist natürlich auch ein ganz besonderer Ort. Aber direkt danach kommt für mich dann das Ruhrgebiet, weil da so wahnsinnig viel in meinem Leben passiert ist und ich auch schon so lange hier bin. Ich habe hier zwei Kinder geboren, die sind Bochumer. Ich werde diese Häuser nie vergessen, in denen ich diese Kinder geboren habe. Ich glaube, wenn ich irgendwann mal woanders leben werde, was ich nicht ausschließen will, und ich zurückkomme, dann wird in vielen Straßen einfach Heimat für mich sein, weil ich erinnert werde an mein Leben, das an diesen Orten stattgefunden hat. 

Auch meine Beziehung zum Theater ist hier gewachsen. Vorher habe ich immer frei gearbeitet, bin von Theater zu Theater unterwegs gewesen und war viel kürzere Zeit an einem Ort. In Bochum habe ich mich dann auch zum ersten Mal an ein Haus gebunden, an ein Theater und an einen Intendanten und war für ein Schauspielerleben wirklich verhältnismäßig lange an einem Theater und hab mich dort zu Hause gefühlt. Und das ist auch immer noch so, also es gibt Gebäude, das Schauspielhaus zum Beispiel, da fühl ich sowas wie zu Hause. Da weiß ich, wer oben sitzt in der Schneiderei, ich weiß, wen ich anrufen kann, wenn mir die Tür zugefallen ist, alles Leute, die im Schauspielhaus arbeiten und die ich nach wie vor gut kenne und die mich nach wie vor gut kennen. Man schätzt sich und das ist dann auch ein bisschen gefühlt wie Familienzuwachs.

Warum hast du dich damals für die Schauspielkarriere entschieden, wie kam es dazu?

Das ist eine lustige Geschichte, aber tatsächlich muss ich sagen, das ist wahrscheinlich der Ursprung des Ganzen: Da war ich neun und war in “König der Löwen” im Kino, der Zeichentrickverfilmung von Disney. Das war mein erster Kinobesuch und davor war ich auch nicht im Theater, aber ich dachte – und da sind sich Kino und Theater auch gleich – was für eine Magie entsteht in diesem Raum! Das hat mich umgehauen. Das erste Mal, dass ich mich in so einem großen Raum befand, wo man hingeht und sich eine Geschichte anschaut mit fremden Leuten. Das Licht geht aus, das ist irgendwie schon magisch,. Und dann wird aus diesen Fremden eigentlich eins, sie werden fast wie eine Stimme wahrnehmbar, weil man zusammen dieser Geschichte folgt. Wenn es lustig ist, dann hört man den Saal lachen, sich selber und die Leute, die man eigentlich gar nicht kennt. Und man spürt, wenn es traurig oder gefährlich ist, wie die Spannung bei den Mitmenschen um einen herum auch da ist. Das fand ich genial. Und dann dachte ich mir: Okay, ich will auch wie Simba eine Geschichte erzählen. Und dann habe ich das mit einem Satz in meinem Tagebuch geschrieben, das heute im Keller liegt. Da steht: Ich will Schauspielerin werden. Dann habe ich aber darüber gar nichts weiter geschrieben im Tagebuch und bin es dann aber geworden. Ich habe dann wohl, als die Zeit reif war, meinen Weg gefunden und bin dann an verschiedene Kleinkunstbühnen in meiner Heimat, also in Rheinland-Pfalz, an das Chawwerusch Theater in Herxheim zum Beispiel, und hab da ein Regie-Praktikum gemacht. Und ich habe tatsächlich – das war ein ganz großes Glück – an meiner damaligen Schule das Wahlpflichtfach “Darstellendes Spiel” gewählt. Durch die Bestätigung des Lehrers und durch das Umfeld wurde ich sicher, dass es mein Weg ist, dass ich auf die Bühne will, dass ich erzählen möchte, dass ich spielen will, dass ich andere Leben sein möchte, oder sie erfahren will, wenn ich sie spiele. Damit hatte ich Blut geleckt, und so ging es dann unaufhaltsam weiter und relativ schnell nach Berlin an die Schauspielschule.

Du hast ja nicht nur an Theatern gespielt sondern bist auch im Fernsehen zu sehen. Wie unterscheidet sich die Arbeit an einem Theater von der Filmproduktion?

Theaterproben, das ist sowas, da geht man oft einmal durch die Hölle. Und das meine ich gar nicht negativ! Man lässt sich auf jemanden ein, die Schauspieler auf den Regisseur, der Regisseur auf die unterschiedlichen Schauspieler. Und die müssen dann gemeinsam eine Sprache finden. Das Stück gibt es meistens ja schon. Wenn nicht, dann entwickelt man es zusammen bei den Proben, das habe ich schon erlebt, das ist auch großartig. Und man hat so eine Vorstellung von Kostümbild und Bühnenbild, aber meist nur eine Vorstellung, und alles kreiert sich bei den Proben, im Bestfall entwickelt sich alles gleichzeitig. Am Ende wird vielleicht auch alles umgeworfen und man spielt vielleicht sogar ein anderes Stück oder man spielt das gleiche Stück, aber man hat plötzlich einen ganz anderen Ansatz – die Proben sind der wesentliche Unterschied. In den meisten Filmproduktionen hat man nicht so viel Zeit, sich gemeinsam mit etwas auseinanderzusetzen, da hat man seltener eine Leseprobe, die man sie am Theater immer hat. Man hat wie am Theater auch Kostümproben, Maskenprobe, Gespräche mit dem Regisseur, auch mit dem Spielpartner kann man schon vorarbeiten und sowas, aber man hat nicht – oder zumindest sehr selten – dieses wochenlange Ausprobieren bei den Proben. Man probt dann vielleicht mal ein paar Tage, wenn man Glück hat, und dann dreht man das Ding. Ein weiterer großer Unterschied: Die Szenen, die man einmal gespielt hat, die sind im Kasten, und man hat meistens nicht die Gelegenheit, diese Szenen nochmal zu spielen, auch wenn man später denkt: „Ach ich hätte das doch so spielen müssen“. Beim Film muss man eben viel in Eigenarbeit zu Hause machen, was die Rollenentwicklung angeht, und dann muss man beim Drehen wissen: Das ist jetzt der Moment. Beim Theater hast du auch nach der Aufführung noch die Möglichkeit, an dem Stück weiterzuarbeiten. Das gibt es auch, dass Regisseure danach noch probieren mit dem Team, und du hast vor allem auch die Möglichkeit zu sagen: „Boah ey, das habe ich jetzt 20-mal gebrüllt, wieso spiel ich das denn eigentlich nicht feiner, nicht sensibler, vielleicht ganz leise?“ Und dann kann man es am Theater bei der nächsten Vorstellung ganz anders machen. 

Also könnte man sagen, das Theater ist vielleicht wandelbarer als die Filmproduktion?

Das ist es auf jeden Fall, weil es ja mit jedem Abend neu entsteht. Es gibt Ausnahmen, aber die sind selten. Beim Film muss schon jeder seine eigene Rolle fast fertig mitbringen, weil man ja dann schon übermorgen drehen muss. Beim Theater muss ich hoffentlich nicht schon die Figur in der Tasche haben, wenn ich beginne, sondern kann die eigentlich mit dem Team suchen, das macht mir auf jeden Fall am meisten Spaß. Es gibt verschiedene Ansätze und es gibt auch im Theater Leute, die eigentlich schon sofort wissen, wie sie genau was haben wollen. Festzuhalten ist, die Probezeiten sind meistens länger am Theater als beim Film. Und wandelbarer ist es dann eben auch, denn wenn der Film einmal im Kasten ist, dann ist der im Kasten. Dann kann ich den nicht nochmal drehen, das ist dann vorbei. Und wenn ich das Theater habe, habe ich da jedes Mal die Möglichkeit, mir wieder die Zähne auszubeißen  an der Szene, die ich vielleicht noch ganz anders spielen kann. Also kann ich mich da weiter ausprobieren. Jedes Publikum ist anders und man reagiert und spielt anders, je nachdem für wen man spielt, wer dir zuschaut. Es ist unmittelbarer.

Wie wichtig sind Theater und Schauspiel für eine Stadt und wie beeinflusst Theater vielleicht das Selbstverständnis und demzufolge auch das Heimatverständnis einer Stadt?

Ich glaube, dass es enorm wichtig ist, nicht nur für eine Stadt, sondern für den Menschen an sich. Im Theater setzt man sich mit dem Menschen auseinander. Theater spiegelt Dinge, die wir tun, die wir erleben – unseren Alltag, soziale Umstände. Es beflügelt unsere Phantasie, es bringt uns zum Lachen. Das ist beim Theater nochmal was anderes als beim Film, weil der Mensch direkt vor dir steht, man sich anders identifizieren, was anderes passieren kann, wenn es live ist. Und ich glaube, dass die Politik falsch liegt, wenn sie sagt, wir seien nicht systemrelevant. Systemrelevant ist so ein ganz schrecklicher Begriff. Wir sind relevant für den Menschen. Wir sind relevant für die Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst, mit dem Sein eigentlich, mit der Welt, mit dem Leben, und daraus sind wir eigentlich nicht wegzudenken. Wir bringen vielleicht kein Geld ein, aber vielleicht eine Erfahrung oder etwas innen drin zum Klingen im Menschen. Also ich sehe das so, dass jede Träne und jedes Lachen und jedes aufmerksame Zuhören wichtig ist für den Menschen.

Es sind ja nicht alle Menschen gleichermaßen am Theater und Schauspiel interessiert. Wie kommen diese Unterschiede in der Wahrnehmung der Menschen vom Theater zustande und wie kann man vielleicht Nicht-Theaterinteressierte trotzdem ansprechen?

Interessante Frage, die sollten wir  uns alle stellen. Ich weiß gar nicht genau, ich habe schon lange nicht mehr mit jemandem gesprochen, der so gar nicht am Theater oder an Filmen interessiert ist. Für mich ist Theater auch eine Erweiterung der Möglichkeiten. Man kann am Theater mit verschiedenen Kunstformen arbeiten: Manchmal entsteht auf der Bühne so etwas wie ein Gemälde mit lebendigen Menschen drin, oder manchmal berührt es den Tanz. Ansonsten macht das Theater ja auch, was der Film macht, nämlich sich mit einem Thema auseinandersetzen, Geschichten erzählen. Und dafür gibt es ja viele Abnehmer. Manche denken vielleicht, dass es verstaubt ist, oder eine Kunstform, die keiner mehr braucht. Aber ich bin mir sicher, wenn die so ein-, zweimal ins Theater gehen würden, könnte sich das ändern. Gleichzeitig ist es voll in Ordnung, wenn es Leute gibt, die damit nichts anfangen können, man muss ja Leute nicht zwingen, was Neues zu erleben. Ich jedenfalls finde Theater komplett aktuell, meistens mutiger und innovativer als Film.

Das wäre ja dann ein schöner Abschluss für unser Gespräch. Vielleicht sollte einfach jeder einmal das Theater ausprobieren und ihm eine Chance geben.

Ich denke schon. Wenn man nie im Theater war oder nur als Pflichtprogramm im Deutschunterricht:  Wir müssen jetzt alle ins Theater gehen und eigentlich interessiert mich aber gerade, warum meine Freundin sauer auf mich ist, und jetzt sitze ich hier im Theater. Wenn man nur diese Erfahrung hat, dann sollte man es vielleicht nochmal versuchen, ohne dass die Lehrer einen zwingen, sich das anzugucken. Oder man denkt: „Oh, ich verstehe ja nix, die ziehen sich nur aus und beschmieren sich mit Farbe oder so.“ Aber das ist auch nicht unbedingt immer der Fall. Vielleicht gibt es ja tatsächlich einen Text, den man interessant findet oder den man mal gelesen hat oder ein Thema, was dann im Theater behandelt wird. Dann kann das Theater einen nämlich bestimmt erreichen, glaube ich. Man kann sich ja vorher  auch mal angucken, was da läuft am Theater, dann hat man eigentlich schon einen relativ klaren Eindruck, wie der Abend so abläuft. Wie bei einer Mediathek kann man sich auch auf die Theaterlandschaft einlassen und mal ein bisschen gucken, was da so angeboten wird, weil es eigentlich auch einen sehr bunten Katalog an Stücken und auch an Inszenierungen gibt.

In Bochum wäre die Adresse für Theater ja jetzt hauptsächlich das Schauspielhaus- 
 

Und die Rottstraße gibt es noch.Das Theater an der Rottstraße ist ein Off-Theater. Und dann gibt es noch das Prinzregenten-Theater. Das sind zwei kleinere Bühnen, die auch verschiedenste Stücke spielen.

Also durchaus auch eine recht breite Auswahl für Interessierte! Danke für das Gespräch.

Interview: Lena Bexte

Transkription: Leines Baumgardt

Foto: Domenika Spexard