"Ich bin in der Poesie beheimatet"
Safiye Can wurde 1977 als Kind tscherkessischer Eltern in Offenbach am Main geboren. Nach ihrem Studium der Philosophie, Psychoanalyse und Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main erlangte sie Bekanntheit als Autorin und Dichterin der konkreten und visuellen Poesie. Ihre Werke gelten als Bestseller.
Was fällt Ihnen an Assoziationen zu Bochum ein?
Der Dichter Michael Starcke, der leider 2016 verstarb. Zu meinen Büchern schrieb er wunderbare Rezensionen, und wir waren in gutem freundschaftlichen Kontakt. Ich bedauere nach wie vor, dass es nicht zu einem persönlichen Treffen kam. Verschieben Sie keine Treffen.
Eine weitere positive Assoziation ist das Wort Ruhrgebiet. Menschen, aus dem Ruhrgebiet sind mir sympathisch; sie sind angenehm und unkompliziert, und darin liegt eine große Kunst
Die dritte Assoziation ist, dass ich mich noch vor meiner Ankunft willkommen fühle. Dass mir viele Menschen freundlich, interessiert und mit vereinten Kräften professionell zur Seite stehen, planen und ihre Unterstützung anbieten, erweckt ja auch fast heimatliche Gefühle, nicht wahr?
Was macht Bochum für Sie aus?
Ich war bisher nur einmal zu einer Lesung in der Stadtbücherei und musste nach der Lesung wieder abreisen. Diese Frage kann ich also noch nicht beantworten.
Welchen Ort wollen Sie in Bochum zuerst besuchen und weshalb?
Ich habe am ersten Tag meiner Bochum-Expedition eine Stadtführung, damit ich einen Gesamteindruck und Überblick über die Stadt bekomme. Darauf freue ich mich schon sehr.
Neugierig bin ich sonst zum Beispiel auf die interessanten Museen, darunter das Deutsche Bergbaum-Museum und Kunstmuseum, aber auch das Planetarium, das Musikforum und die Jahrhunderthalle. Sie alle werden jetzt zur Pandemie-Zeit sicherlich geschlossen bleiben. Vom kulturellen Leben wird mir leider viel entgehen.
Was fühlen Sie, wenn sie an den Begriff “Heimat” denken?
Die Antwort variiert. Heute lautet sie: Schmerz.
Stellt das Schreiben von Gedichten für Sie Heimat dar? Weshalb ja/nein?
Das Schreiben von Gedichten ist meine Berufung und der Grund, weswegen ich in die Welt hineingeworfen wurde. Das Wort Gedicht, das Wort Lyrik, das Wort Poesie sind mir Heimaten. Ich bin in ihnen beheimatet.
Wir sollten allerdings vorsichtig sein im Umgang mit Begriffen wie Heimat. Nicht alles, was wir mit Positivem assoziieren, können wir mit Heimat gleichstellen. Sonst relativieren wir dieses große, gewichtige Wort und tun diesem sowie uns selbst nichts Gutes.
In Ihrem Gedicht „Möglicherweise ganz und gar“ greifen Sie den interkulturellen und verbindenden Gedanken von Heimat auf. Weshalb glauben Sie, dass der Begriff „Heimat“ nicht ausgrenzend, sondern verbindend sein kann?
Die Ausgrenzung erleben wir zuhauf. Mir ist es wichtig, das Verbindende vor Augen zu führen. Ich möchte lieber so viel Zusammenhalt und Verständnis wie gar möglich erreichen. Die Assoziation mit dem Wort Heimat ist ja bei uns allen eher positiv behaftet. Heimat ist unser Zuhause, der Ort oder das Dort, wo wir uns in Sicherheit wähnen und geborgen fühlen.
Heimat kann aber sehr wohl auch ausgrenzend sein.
Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben!
Interview: Marie N´gouan
Transkription N´gouan
Foto: Ali Malak