"Letztendlich können wir uns nicht aussuchen, wo wir hineingeboren werden und wohin es uns verschlägt."
Aleksandra Weber wurde 1984 in Zabrze in Polen geboren und arbeitet als Fotografin. Ihre persönliche Kunst fokussiert sich auf Themen der kulturellen Identität. Im Rahmen des Projekts „Experiment Heimat“ beschäftigt sie sich mit dem Thema der Heimat und nimmt dabei als Fotografin eine beobachtende Perspektive ein.
Was fällt Ihnen an Assoziationen zu Bochum ein? Was macht Bochum für Sie aus?
Dadurch, dass ich dort noch nicht gewesen bin…
Genau! Sie kommen aus Bremen, oder?
Ich komme tatsächlich aus einem kleinen Kaff in Ostfriesland. Dort bin ich groß geworden und gebürtig komme ich aus Polen, aus einer Arbeiterstadt, so ein bisschen ein Pendant zum Ruhrgebiet. Und dann bin ich in Ostfriesland in einem kleinen Kuhkaff gelandet und dort großgeworden.
Wieso sind Sie dann nach Bremen gezogen?
Nach dem Abitur bin ich dann mit einer Freundin nach Bremen gegangen. Erstmal tatsächlich nur, weil es die nächstgrößte Stadt im Norden war. Es gab viele aus Ostfriesland, die so rüber gewandert sind und dann weiter nach Berlin. Das war immer die erste Station und hier kannten wir dann auch einige. Irgendwie bin ich hier gelandet und dann hängengeblieben.
Welche Assoziationen haben Sie denn zu Bochum?
Dadurch, dass ich dort noch nicht gewesen bin, muss ich das ein wenig verallgemeinern. Im Kopf habe ich das Bild einer Arbeiterstadt. Viel grau und Beton. Jetzt weiß ich natürlich aber auch ein wenig mehr, wie beispielsweise, dass es mit der Ruhr-Universität die Universitätsstadt schlechthin ist. Ansonsten war ich noch in Dortmund und Hagen und würde sagen, dass ich die Stadt Bochum ähnlich ansiedeln würde.
Welchen Ort wollen Sie in Bochum zuerst besuchen und weshalb?
Bisher habe ich mich eher auf die Ruhr-Universität konzentriert und mich darauf eingestellt. In der Umgebung würde ich allerdings auch gerne meine Fühler ausstrecken, weil das der Ort ist, der für mich in dem Projekt relevant ist. Ansonsten bin ich offen und neugierig. Ich bekomme eine Stadtführung und hoffe, dass ich da viele Ecken kennenlernen und sehen werde.
Was fühlen/schmecken/sehen Sie, wenn sie an den Begriff “Heimat” denken?
Den Heimatbegriff verbinde ich grundsätzlich mit der Frage nach dem „Was hat mich geprägt?“ oder „Wo komme ich her?“. Dabei fühle ich mich schon etwas dazwischen, weil ich an zwei Orten groß geworden bin. An beiden Orten war es wirklich unterschiedlich. Es sieht dort anders aus und fühlt sich auch anders an. Es gibt dort eine andere Mentalität. Ich bin früher viel nach Polen gefahren und wenn wir wieder auf die deutsche Seite gereist sind, erinnere ich mich daran, dass alles so aufgeräumt, sauber und auf jeden Fall anders gewesen ist. Das wäre auf jeden Fall ein Gefühl, dass für mich die Heimat hier in Deutschland umschreibt.
Also würden Sie den Heimatbegriff eher an Orte knüpfen?
Irgendwie schon. Mir kommen dabei zuerst die Orte in den Kopf, die mich geprägt haben. Da habe ich ganz klar zwei oder sogar drei Orte. In Polen haben wir eine kleine Hütte in den Bergen. Dorthin sind wir eigentlich jedes Jahr in den Ferien gefahren. Ich erinnere mich an das Gefühl, das ich bis heute habe, wenn ich in dem Dorf ankomme beziehungsweise vorher, wenn sich die Landschaft auf dem Weg dorthin verändert. Es fühlt sich wie zu Hause ankommen an. Auf der einen Seite die Industriestadt, die auch schön war, und gleichzeitig die Idylle in Ostfriesland, wo alles sauber und geordnet gewesen ist. Ich glaube, ich verbinde da schon Orte mit.
Demnach würden Sie sagen, dass es mehrere Heimaten geben kann?
Für mich schon.
Glauben Sie, dass Heimat essenziell für den Menschen ist? Wenn ja, weshalb? Wenn nein, weshalb nicht?
In unserer Geschichte ist es traurigerweise so, dass manche Menschen nicht an einem Ort bleiben konnten und durften. Da finde ich das Zitat von Sasa Stanisic passend. Demnach würde ich sagen, dass Heimat natürlich essentiell ist, weil sie uns prägt. Aber letztendlich können wir uns das nicht aussuchen, wo wir hineingeboren werden und wohin es uns verschlägt. Ich glaube schon, dass es einen prägt und Spuren hinterlässt, wo man herkommt und dadurch essenziell ist.
Trotzdem glaube ich, dass es sich individuell für den Menschen unterschiedlich anfühlen kann und das durchaus dann auch nicht essentiell sein kann. Ich habe das schon mit Orten verknüpft. Da gehört ja einiges dazu: Die Menschen, die in den Orten leben, Gerüche, Gefühle zu diesem Ort.
Ihre Fotografie arbeitet viel mit Portraits. Weshalb denken Sie, dass so viele Menschen in anderen Personen ihre Heimat finden?
Weil die Mitmenschen einem ein Gefühl vermitteln. Man lebt ja nicht allein auf dieser Welt und hat im besten Fall eine Familie und Fürsorge. Wenn man mit dem Begriff Heimat als Gefühl umgeht, kann ich schon verstehen, dass man das dann an die Menschen, die einen umgeben, knüpft. Die Menschen, die einen ausmachen, die um einen herum sind und einem ein sicheres Gefühl geben, auch wenn man sich manchmal aneinander reiben kann.
In Ihrer Fotografie fokussieren Sie sich auf das Thema der kulturellen Identität. Was hat das für einen Grund und was möchten Sie damit bewirken?
Das kann ich leicht beantworten, weil das gar nicht so eine Kopfgeschichte gewesen ist, sondern tatsächlich, wenn ich zurückblicke, meine eigene Biographie und der Wechsel von diesen Orten widerspiegelt. Und die Menschen, die dort in dieser Stadt anders aussahen als die in Ostfriesland. Es ist so, dass ich mir sowieso immer schon gerne Menschen angeguckt habe, beobachtet habe. Dass ich schon darüber sehr viel visuell funktioniert habe und bei den Menschen war. Das war schon immer so. Schon als Kind hat mich diese Wahrnehmung von Menschen gefesselt und da habe ich mir immer gedacht: Wieso ist das eigentlich so? Warum sehen die Leute hier so aus? Es schien mir, als seien die Menschen total gezeichnet von ihrem Leben und davon, wie sie arbeiten müssen. Das meine ich, wie zeichnen denn auch Orte oder Lebensbedingungen eine Person oder kann man das überhaupt vereinen?
Und das war dann wie eine soziologische Untersuchung mit meiner Kamera, die mir erlaubt hat, den Moment festzuhalten. Das kam schon intuitiv und das hat sich dann immer weiter fortgeführt. Aber das war glaube ich schon für diese Arbeit essentiell, dass ich immer wieder an verschiedenen Orten war und wahrgenommen habe, dass es Unterschiede gibt.
Also haben Sie diese Menschen fotografiert in ihrer derzeitigen Situation?
Naja, auf der Straße, dort wo ich sie angetroffen habe. Spontan.… Das Spannende finde ich dann schon, wenn ich an einem Ort bin, um mir anzusehen, was heraussticht. Und das kann man dann immer so weiter fortführen. Ich finde, wenn ich an verschiedene Orte fahre, steht die Frage im Vordergrund: Was fällt mir auf? In der Schweiz auf dem Paradeplatz ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass dort unglaublich viele, ganz feingekleidete, etwas ältere Damen herumliefen. Und dann habe ich angefangen, diese anzusprechen. Und wenn ich an einen anderen Ort fahre, irgendeine Arbeiterstadt zum Beispiel, dann schaue ich mir dort die Menschen an. Ich mag diesen kurzen Moment dieser Interaktion, der Begegnung, dieses Vertrauen, das die Personen mir schenken.
Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben!
Interview: Marie N´gouan
Transkription: Marie N´gouan
Foto: Tanja Avani